Spiegel
"Der Designer ist der Prototyp unserer Zeit," interview by Susanne Weingarten (in German).
July 31, 2006.
Excerpt:
Susanne Weingarten: Web-Idealisten pflegen die Hoffnung, dass der neue Zugang des einzelnen Bürgers - etwa als Blogger - zu einer weltweiten Netzöffentlichkeit bessere Information, größere Durchlässigkeit für politische Systeme und damit am Ende auch mehr Demokratie bedeutet. Teilen Sie diese Hoffnung?
Lev Manovich: Es wäre ein Fehler, eine pauschale Aussage darüber zu treffen, weil wir ganz offensichtlich mit einem Widerspruch leben. Diese Telekommunikationstechnologien, die es jedem erlauben, etwa Videos auf youtube.com zu stellen oder herunterzuladen, haben sich im Laufe der vergangenen fünf Jahre entwickelt, und die sind - zumindest in den USA - eine sehr, sehr dunkle und konservative Ära gewesen. Die aus den sechziger Jahren überkommene Hoffnung von Medienaktivisten oder Medienwissenschaftlern, dass man den Menschen nur den Zugang zu den Produktionsmitteln verschaffen muss, und schon wird sich alles ändern, diese Hoffnung lässt sich also offenbar nicht halten. Die entscheidende Frage in einer kapitalistischen demokratischen Gesellschaft war immer schon: Wer findet Gehör? Man konnte ja auch früher einen Leserbrief schreiben, aber damit bewirkte man noch lange nichts. Und die heutige Wucherung von hausgemachtem Output verstärkt dieses Problem nur: Wenn man mit 30.000 anderen Videos konkurriert, wie erzielt man dann eine Wirkung? Dazu bräuchte man wieder Geld, um eine Werbekampagne zu starten.
Susanne Weingarten: Und das haben nur die Profis, nicht die Amateure. Dabei sollte die Digitalisierung doch die Trennung zwischen diesen beiden Gruppen aufheben.
Lev Manovich: Ein Stück weit ist die Trennlinie auch ausradiert. Jeder kann sich heute eine DV-Kamera kaufen und einfach drauflosfilmen. Aber wenn man sich die Mediengeschichte seit dem späten 19. Jahrhundert anschaut, dann hat es immer die Grenze zwischen Profis und Amateuren gegeben. Sie wurde gezogen anhand von ästhetischen Standards, aber auch von technologischen: Lange verwendeten beispielsweise die Amateure 8- oder 16-Millimeter-Film, die Profis dagegen hatten 35-Millimeter-Film und teure Kameras. Und wenn man heute etwa "professionelle" Tonqualität will, muss man in ein professionelles Tonstudio gehen.